Leitlinie partielles Androgendefizit des alternden Mannes

C. Kratzik, P. Dollezal, M. Davoudi, A. Ponholzer, J. Lackner

Definition des partiellen Androgendefizits des alternden Mannes

Das partielle Androgendefizit des alternden Mannes (PADAM) wird von Morales als ein biochemisches Syndrom im fortgeschrittenen Lebensalter definiert, welches durch einen Androgenmangel mit oder ohne verminderter genomischer Sensitivität für Androgene gekennzeichnet ist. Da die gesamte Hypophysen-Gonaden-Achse betroffen ist, handelt es sich um einen gemischten primär/sekundären Hypogonadismus. Es ist charakterisiert durch typische Symptome vergesellschaftet mit einem Testosteronmangel, die sowohl die Lebensqualität als auch die Funktion von verschiedenen Organen beeinträchtigen können.

Prävalenz

Aufgrund der heterogenen Studienpopulationen ist diese schwierig zu bestimmen. Ab dem 40. Lebensjahr kommt es zu einem unterschiedlich schnellen Rückgang der Testosteronbiosynthese. Zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr beträgt der Rückgang an Testosteron ca. 20 % des Ausgangswertes. Nur mehr 15 % der 80-Jährigen haben einen Testosteronspiegel > 3 ng/ml (12 nmol/l) (Tab. 1). Im longitudinalen Verlauf (Massachusetts Male Aging Study) sinkt das Gesamttestosteron um durchschnittlich 1,6 % pro Jahr ab, das freie Testosteron um ca. 2–3 %, während LH (0,9 %) und SHBG (3 %) ansteigen. Bei einer unteren Testosteronschwelle von < 3,5 ng/mL beträgt die Prävalenz bei 40–60-jährigen 7 %, bei 60–80-Jährigen 21 % und bei über 80-jährigen 35 %.

Diagnostik

Um kausale Zusammenhänge von Symptomen mit einem Testosterondefizit zu stratifizieren, wurden Fragebögen entwickelt, die subjektive und z. T. auch objektive Parameter einschließen. Gebräuchlich sind unter anderem der ADAMScore und die AMS-Rating Scale. Die Daten sind erfolgversprechend und die Sensitivität und Spezifität akzeptabel. Bei klinischem Verdacht bzw. bei einem pathologischen Wert des Fragebogens sollten Testosteron, Albumin und SHBG bestimmt werden. Testosteron weist eine zirkadiane Rhythmik auf. Die morgendlichen Testosteronspitzen gehen im Alter verloren, so dass die Messung des Testosterons im späteren Tagesverlauf geringere Differenzen im Vergleich zu jüngeren Männern ergibt. Die Blutproben sollen zwischen 8.00 und 10.00 Uhr entnommen werden. Bei grenzwertigem Spiegel wird die Messung 2–4 Wochen später wiederholt. Die Verwendung des gleichen Assay-Typs ist wegen der Interassay- Varianzen obligat. Für die Bestimmung von Testosteron und SHBG sind kommerzielle Assays adäquat. Die Messung von freiem bzw. bioverfügbarem Testosteron (n-SHBG-T) mittels Äquilibriumdialyse bzw. NH4-Sulfat-Fällung sind für die Routine methodisch zu aufwendig. Der Analog-RIA für freies Testosteron ist zu ungenau.

Therapieziel

Die Serumtestosteronspiegel sollen in den physiologischen Bereich angehoben werden. Bemerkenswert ist, dass die derzeit geltenden Normalwerte möglicherweise zu hoch angesetzt wurden. Verbesserungen des Wohlbefindens, der Sexualität, der Lebensqualität, Sarkopenie, Osteopenie und der Hirnleistungen sind als Therapieziele zu nennen. Diese Parameter sind im Kontext mit der generellen Morbidität und negativen Lebensstilfaktoren zu betrachten. Daher ist die Testosteronersatzbehandlung bei älteren Männern in der Regel im Rahmen eines generellen Gesundheitsmanagements zu sehen. Allfällig bestehende Begleiterkrankungen, negative Lebensstilfaktoren und medikamentöse Behandlungen sind angesichts der gravierenden Auswirkungen auf die Androgenität zu berücksichtigen. Negative mit dem Testosteronmangel in potenziellem Zusammenhang stehende Lebensstilfaktoren bedürfen einer zur Androgentherapie begleitenden Korrektur.

Indikationen für eine Testosteronsubstitutionstherapie

Eine Substitution ist bei Testosteronmangel und subjektiven Beschwerden in jedem Alter indiziert. Durch Testosteronsubstitution kann auch ein Sildenafil-non-responder zu einem Responder werden. Die einzige Indikation, Männer mit einem grenzwertigen Testosteronspiegel zu behandeln, besteht bei Libidostörungen [2]. Der generelle Testosteronersatz bei älteren Männern mit grenzwertigem Hypogonadismus wird kontroversiell diskutiert, da das Nutzen-Risiko-Profil zurzeit nicht ausreichend durch prospektive Studien erhärtet ist [3– 5]. Somit kommt für die Indikationsstellung dem ausführlichen Gespräch zwischen Patienten und Arzt besondere Bedeutung zu.

Kontraindikationen für eine Testosteronsubstitutionstherapie

Bei Verdacht oder Bestehen eines Prostatakarzinoms, eines Mammakarzinoms, hochgradiger BPO und Polyglobulie ist eine Substitutionstherapie kontraindiziert. Schlafapnoe und Leberschäden sind relative Kontraindikationen. Vorsicht ist geboten bei manifesten Herz-Kreislauf-Erkrankungen, hochgradiger Hypertonie und peripherer Ödembildung. Bei hypogonadalen Männern nach kurativer Prostatektomie, die unter Symptomen leiden, kann eine Substitutionstherapie durchgeführt werden. Eine besonders genaue Patienteninformation sowie exaktes Patientenmonitoring durch den Urologen ist unabdingbar.

Testosteronpräparate

Geeignete Testosteronpräparate sollen physiologische Konzentrationen des Testosterons und dessen Metaboliten bereitstellen und eine dem physiologischen Sekretionsmuster entsprechende Freisetzung, gute Verträglichkeit, komfortable Applikation und niedrige Kosten gewährleisten. Aromatisierbares Testosteron ist erforderlich, um die Interkonversion zu Östrogenen im Fettgewebe zu ermöglichen. Diese Voraussetzung werden am ehesten von Andriol-Testocaps (oral), Testogel (topisch), Nebido (i.m.) und Testosteron- Implantaten (Inzision und Troicar) erfüllt. Die Resorption und Bioverfügbarkeit von Andriol-Testocaps wird durch Einnahme während der Nahrungsaufnahme erhöht. Eine Dosierung von 2× 2 40-mg Kapseln täglich wird empfohlen. Testogel ist ein hydroalkoholisches Gel mit 5– 10 g nicht konjugiertem Testosteron, welches 1× täglich topisch appliziert wird. Testosteronundecanoat in öliger Lösung enthält 1000 mg Testosteronundecanoat und gewährleistet konstante Spiegel über 12 Wochen. Testosteron-Implantate bestehen aus kristallinem nativem Testosteron (100 oder 200 mg pro Pellet); 600–800 mg werden alle 4–5 Monate subkutan implantiert.

Monitoring

Engmaschige PSA-Kontrollen sowie rektale Palpation zur Prostataüberwachung und hämatologische Kontrollen um eine Polycythaemie auszuschließen sollten durchgeführt werden und danach mindestens 1× jährliche PSA Bestimmung.

Tabelle 1: Alterskorrigierte Testosteronwerte nach Schatzl
[1]

Alter (Jahre) Testosteron (ng/ml)
20–29 3,1–8,3
30–39 3,0–8,3
40–49 2,8–7,0
50–59 2,4–6,3
60–69 2,1–5,4
70–89 1,7–4,9
veröffentlicht am 13. Juni 2011