Bedeutung von Rauchen für urologische Erkrankungen

Einleitung

Das Rauchen von Tabak ist mit Sicherheit der größte beeinflussbare Faktor unter den Gesundheitsrisiken unserer Zeit. Es verursacht neben anderen vielfältigen negativen Auswirkungen auf den Organismus nachweislich zahlreiche Krebserkrankungen, chronische Lungenerkrankungen, sowie funktionelle und strukturelle Schäden an den Koronararterien, im zerebrovaskulären- und im peripheren Gefäßsystem. Leider rauchen zusätzlich zu den 26% männlichen und 16% weiblichen Exrauchern trotz dieser Kenntnisse nach wie vor 28% der männlichen und 19% der weiblichen Bevölkerung in Österreich ab dem 16. Lebensjahr täglich (Stand 2007) (1).

Dies führt zu einer um geschätzte 6-10 Jahre verminderten Lebenserwartung von Rauchern und verursacht auch in der Urologie multiple Krankheitsfolgen, allen voran in der onkologischen Urologie und in der Andrologie.

Im Folgenden werden die wesentlichen urologischen Erkrankungen, in deren Entstehung, Therapie oder Prognose das Rauchen eine nachgewiesene Rolle spielt dargestellt. Grundsätzliche Aspekte der erhöhten Morbidität, der reduzierten Immunlage oder Gewebeoxygenierung werden nicht gesondert behandelt.

Eine prinzipielle Unterscheidung zwischen Zigarettenrauchen, Zigarrenrauchen oder Pfeifferauchen wurde, wenn es auch qualitative Unterschiede gibt, in der vorliegenden Publikation ebenfalls nicht getroffen.

Blasenkrebs

Das Urothelkarzimon der Harnblase stellt nach dem Prostatakarzinom das häufigste urologische Malignom dar. In Österreich betrug die Inzidenz im Jahre 2007 in der Gesamtbevölkerung 10,5/100.000 (Männer: 18,0; Frauen: 4,9) und die Mortalität 2,6/100.000 (Männer: 4,9; Frauen: 1,2).

Dies bedeutet immerhin für das Jahr 2007 eine Zahl von Neuerkrankungen von 1615 und eine Zahl von erkrankungsbedingten Todesfällen von 478.

Hierbei ist gemäß der Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Urologie (EAU) aus dem Jahr 2009 der Tabakrauch mit Sicherheit der größte bekannte und modifizierbare Risikofaktor (2).

Rauchen wird für etwa 60% aller männlichen und 25% aller weiblichen Blasentumore als kausale Ursache eingeschätzt, wobei ein karzinogener „Cocktail“ angeschuldigt wird (2). Das auslösende Agens des Harnblasenkarzinoms bei Rauchern ist bislang jedoch nicht mit Sicherheit nachgewiesen. Zigarettenrauch enthält neben polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen eine Vielzahl weiterer Stoffe. Für einige von ihnen, darunter aromatische Amine wie ?-Naphthylamin und 4-Aminobiphenyl, ist eine krebserzeugende Wirkung belegt. Aromatische Amine werden bei Rauchern, die Träger eines bestimmten Isoenzyms sind, vermehrt zu krebserzeugenden Stoffwechselprodukten umgesetzt (3).

Die Inzidenz des Harnblasenkarzinoms ist direkt korreliert zur Dauer und Intensität des Rauchens, auch Passivrauch ist nachgewiesener Weise mit dem Urothelkarzinomrisiko verbunden. Bei Beendigung einer aktiven „Raucherkarriere“ sinkt das individuelle Karzinomrisiko bereits nach etwa einem Jahr wieder und bleibt bei anhaltend erfolgreichem Rauchstopp um etwa 40% reduziert, jedoch wahrscheinlich lebenslang erhöht (2).

Gemäß einer Metaanalyse aus 43 epidemiologischen Studien (8 Kohortenstudien, 35 Fall-Kontrollstudien) betrug die berechnete, alterskorrigierte kummulative odds ratio (OR) der Harnblasenkarzinominzidenz im Vergleich zu Nichtrauchern für Raucher 3,33 (95% CI: 2,6-4,2) und für Exraucher 1,98 (95% CI: 1,7-2,3) (Tabelle 1).

Dies bedeutet, daß Raucher ein etwa dreifaches und Exraucher ein etwa doppeltes Risiko tragen, an Harnblasenkrebs zu erkranken. Gemäß der Inzidenz- und Mortalitätsdaten der Statistik Österreich wären in einem rauchfreien Österreich im Jahre 2007 etwa 800 Neuerkrankungsfälle und 250-300 Todesfälle vermeidbar gewesen.

Nierenkrebs

Im Unterschied zur derzeit bestehenden konstanten Inzidenz beim Harnblasenkarzinom nimmt das international als zunehmend beschriebene Nierenzellkarzinom in Österreich in den letzten Jahren geringfügig ab (1).

Gemäß den Angaben des Österreichischen statistischen Zentralamtes wurde im Jahr 2007 die Inzidenz für ein Malignom der Niere mit 8,5/100.000 (Männer: 11,4; Frauen: 6,2) und die Mortalität mit 2,5/100.000 (Männer: 3,5; Frauen: 1,7) ausgewiesen.

Dies bedeutet, analog zu den Zahlen beim Harnblasentumor, daß 1181 Österreicher im Jahr 2007 an einem Nierenzellkarzinom neu erkrankten und 407 daran verstarben.

Als ursächliche, bekannte und potentiell modifizierbare Faktoren gelten hierbei laut den Leitlinien der EAU Lebensstilfaktoren wie Nikotinabusus, Adipositas und eine bestehende antihypertensive Therapie. Als effektivste „Prophylaxe“ beim Nierenzellkarzinom wird das Vermeiden von Rauchen angeführt (4).

Schätzungsweise 20-30% aller Nierenzellkarzinome beim Mann und etwa 10-20% aller Tumore der Niere bei der Frau sind durch Tabakrauchen bedingt. Eine Metaanalyse mit gepoolten Daten aus 19 Fall-Kontrollstudien basierend auf 8000 Fällen und fast 14.000 Kontrollen, sowie 5 Kohortenstudien mit über 1,4 Millionen Participanten und 1300 Ereignissen zeigte eine 54% Risikoerhöhung bei Männern und eine 22% Erhöhung bei Frauen (5). Dies korreliert anhand der statistischen Rohdaten aus dem Jahr 2007 mit einer tabakrauchbedingten Zahl an Neudiagnosen von etwa 250 Fällen und etwa 80-100 nierenzellkarzinombedingten Todesfällen.

Die relative Risikoerhöhung (RR) bei starkem Rauchen (mehr als 1 Packung / Tag) lag sogar bei 2,0 (Männern) und 1,58 bei Frauen und war analog zum Harnblasenkrebs partiell reversibel, wenn das Rauchen aufgegeben wurde. Hier konnte eine Reduktion des primär erhöhten Risikos um 15-30% gezeigt werden, wenn der Zeitpunkt des Rauchstopps 10-15 Jahre zurücklag (5) (Tabelle 1).

Prostatakarzinom / BPH

Während beim Prostatakarzinom und in der Genese des chronic-pelvic pain syndroms  derzeit in der Literatur keine Rolle des Tabakrauches festgestellt wird, so wird diese in der Entstehung der gutartigen Prostatavergrößerung (= benigne Prostatahyperplasie; BPH) und der Miktionsbeschwerden (lower urinary tract symptoms = LUTS) kontroversiell diskutiert. Es bestehen hier sowohl große epidemiologischen Studien, die eine positive Assoziation zwischen Tabakrauch und klinisch manifester BPH/LUTS zeigen, als auch einen negativen Zusammenhang zeigten. Beispiele sind hierfür einerseits die Massachusetts Male Aging Study (MMAS) oder die Prostate, Lung, Colorectal and Ovarian Cancer (PLCO)-Studie. In diesen beiden prominenten Kohortenstudien hatten Raucher ein um 30 – 50% geringeres Risiko für eine klinisch manifeste BPH. Im Gegenzug zeigten nicht minder aufwändige Studien, wie die Health Professionals cohort study oder die Flint cohort study daß starkes Rauchen mit signifikant erhöhter Wahrscheinlichkeit für hochgradige LUTS vergesellschaftet war (6). Insgesamt gilt ein positiver Effekt des Tabakrauchens auf den unteren Harntrakt (Blase, Prostata) jedenfalls als höchst umstritten. Als etwaige kausale Ursachen könnten ein geringerer body mass index durch stimulierten Grundumsatz im Körperstoffwechsel angenommen werden. Im Gegenzug ist heute der potentielle Gefäßschaden mit einer konsekutiv reduzierten Gewebeoxygenierung in Blase und Prostata sowie der erhöhte Sympathikotonus als mögliche Ursachen für einen negativen Effekt des Rauchens auf den unteren Harntrakt in Diskussion (7) (Abbildung 1).

Erektile Dysfunktion

Erektile Dysfunktion (ED) ist definiert als das Unvermögen, eine für einen befriedigenden Geschlechtsverkehr ausreichende Gliedversteifung zu bekommen und aufrecht zu erhalten. Die Häufigkeit ist stark altersabhängig und muss nach Schweregrad eingestuft werden (8). Eine der ersten großen Studien hierzu war die MMAS, die bei 40-70 Jahre alten Probanden eine Gesamtprävalenz von 52% beschrieb. In Österreich beträgt die globale Prävalenz bei Männern zwischen 20 und 80 Jahren gemäß eines Standardfragebogens, des International Index of Erectile Function Index (IIEF5 <21) bei 32% (9).

Hierbei gelten heute vaskuläre Risikofaktoren, nämlich Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, Hyperlipidämie und Tabakrauchen als wesentliche Risikofaktoren (8).

Auch hier zeigen die großen Longitudinalstudien aus den USA, wie die MMAS oder die health professionals follow-up study signifikannt erhöhte Risiken für Raucher bezüglich der Entwicklung einer erektile Dysfunktion. Als jüngstes Beispiel sei die Boston Area Community Health Survey (BACH) Studie erwähnt. In dieser populationsbasierten Kohortenstudie unter 2300 Männern zwischen 30 und 79 Jahren lag das relative Risiko (RR) bei Männern mit kummulativ >20 packyears im Vergleich zu Nichtrauchern bei 1,68 (95% CI: 1,1-2,3), das von Passivrauchern bei 1,33 (nicht signifikant). Dies bedeutet, daß Raucher nach etwa 20 Jahren Konsum einer Zigarettenpackung täglich ein um 70% erhöhtes Risiko für ED ausweisen. Diese Größenordnung ist gut vergleichbar mit den großen Querschnittsstudien aus Australien, China, Canada und Italien mit jeweils einem RR von 1,39 – 2,11) (10). Eine Studie die eine explizite Aussage zur Reversibilität der ED bei Rauchstopp trifft ist nicht bekannt, jedenfalls gilt die Modifikation der Lebensstilfaktoren – und so auch die Beendigung des Rauchens – auch in der Behandlung der ED als state of the art (8).

Zusammenfassung

Auch in dem verhältnismäßig kleinen Fach der Urologie sind neben den allgemeinen Risiken des Rauchen wie etwa erhöhten Narkoserisiken bei deutlich vermehrter kardiovaskulärer Komorbidität, reduzierter Immunlage oder vermehrten Wundheilungsstörungen spezifische Folgen des Tabakrauchens klar belegt. Diese sind in erster Linie bei der Entstehung des Harnblasenkarzinoms evident, wo in der klinischen Erfahrung die überwiegende Mehrzahl der Patienten Raucher sind, als auch beim Nierenzellkarzinom, wo 30-50% der Tumore bei entsprechendem Lebensstil vermeidbar wären.

Darüberhinaus scheinen vaskuläre Schäden im Bereich des kleinen Becken klinisch relevant zu sein. Dies ist speziell in der Entstehung der ED klar nachgewiesen, wo Raucher ein erhöhtes Erkrankungsrisiko haben. Ob der Zusammenhang zwischen Störungen der Potenz und der Miktion (LUTS) durch eine ebenso vaskuläre Genese der Blasenfunktionsstörung oder der Prostata bedingt ist bleibt noch letztlich zu klären.

Jedenfalls wäre vor dem Hintergrund, daß Rauchen ein vermeidbares Risiko darstellt jegliche Erkrankung oder gar Todesfall absolut durch eine einfache Maßnahme zu unterbinden: nicht zu Rauchen, nicht Passivzurauchen oder mit dem Rauchen aufzuhören.

LITERATUR

  1. Statistik Österreich; Stand 11/2009
  2. Stenzl A et al. EAU-guidelines on muscle-invasive bladder cancer 2009; European Association of Urology (EAU)-hompage 11/2009
  3. Zeegers MP et al. The impact of characteristics of cigarette smoking on urinary tract cancer risk: a meta-analysis of epidemiologic studies. Cancer. 2000 Aug 1;89:630-9
  4. Ljungberg B et al. EAU-guidelines on renal cell carcinoma 2009; European Association of Urology (EAU)-hompage 11/2009
  5. Hunt JD et al. Renal cell carcinoma in relation to cigarette smoking: meta-analysis of 24 studies. Int J Cancer. 2005 Mar 10;114(1):101-8
  6. Parsons JK. Modifiable risk factors for benign prostatic hyperplasia and lower urinary tract symptoms: new approaches to old problems. J Urol. 2007 Aug;178(2):395-401.
  7. Ponholzer et al. Lower urinary tract symptoms and erectile dysfunction; links for diagnosis, management and treatment. Int J Impot Res. 2007 Nov-Dec;19(6):544-50.
  8. Wespes et al. EAU-guidelines on male sexual dysfunction 2009; European Association of Urology (EAU)-hompage 11/2009
  9. Ponholzer et al. Prevalence and risk factors for erectile dysfunction in 2869 men using a validated questionnaire. Eur Urol. 2005 Jan;47(1):80-5;
  10. Kupelian V et al. Association between smoking, passive smoking, and erectile dysfunction: results from the Boston Area Community Health (BACH) Survey. Eur Urol. 2007 Aug;52(2):416-22.
veröffentlicht am 12. Juni 2011